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Karin Jehrlander - Fünfertakte

Karl Heinrich Ehrenforth zur Rhythmik
Grazyna Przybylska-Angermann - 
Rhythmik als Prävention in der Musikerausbildung

 

Reinhard Ring - Rhythmik - das Spezielle daran
Symposium "Die Identität der Rhythmik", Biel 1996
Silvia del Bianco/ Paul Hille
Reinhard Ring/ Marie-Laure Bachmann
 
Annette und Moritz Hartung - Rhythmik in ehemaligen Kriegsgebieten - Musiegt in Bosnien

 

Ich habe ein ungewöhnliches Hobby. Andere Leute sammeln Briefmarken, alte Münzen, Porzellanhündchen oder ähnliches. Ich sammele Musikstücke im Fünfertakt. Die sind selten genug und das reicht als Anreiz. 5er-Takt, gibt es das, sagen Schüler oft, wenn sie dieses Taktzeichen zum ersten mal sehen. Es ist in der Tat ein wenig fremd und man hört 5er Musik nicht so oft. Die meisten von uns haben 5 Finger an jeder Hand, so sollte es nicht so schwierig sein, Musik im 5er Takt zu spielen. Doch die Wahrheit ist, dass der 5er Takt den meisten gegen den Strich geht. 
Das häufigste Problem scheint in der Tendenz zu stecken, den letzten Schlag des Taktes zu verlängern, so dass er zu einem 6er Takt wird.
Über die ganze Welt verbreitet ist es, dass der Puls in Einheiten von jeweils zwei oder drei Schlägen gruppiert wird. Man hat herausgefunden, dass selbst, wenn alle Schläge gleich stark gespielt werden, die Hörer die Musik dennoch in 2er und 3er Takte aufteilen. Der Verstand möchte 2er oder 3er Aufteilungen hören. Das scheint ein menschliche Eigenschaft zu sein. Jedenfalls wirkt der 5er Takt durch seine Seltenheit ungewöhnlich und aufregend. 
Es gibt zwei gebräuchliche Typen von 5er-Takten, 3+2 und 2+3. Von diesen scheint 3+2 verbreiteter. Er kann wie ein Hinkender wirken. Der starke Akzent, also der erste Schlag entspricht dem Schritt mit dem gesunden Bein auf das man mehr Gewicht setzt. Mit dem anderen geht man kürzer und mit weniger Gewicht. 

 

Der andere 5er-Takt: 2+3, hat einen völlig anderen Charakter. Er bewegt sich eher wie eine Schlange, als wie ein Hinkender. Manchmal wankt und schwankt er, so dass man ständig das Gefühl hat umzukippen. 
Der Gesamteindruck hängt auch davon ab, ob die Musik im 5/4 oder 5/8 Takt geschrieben und welches Tempo gemeint ist. 
Möchten Sie einen Blick in meine Sammlung werfen? Ich sammele Musikbeispiele sowohl im 5/4 als auch 5/8 Takt. Für einige Beispiele habe ich Aufnahmen, andere liegen gedruckt vor. Die Bedingung dafür, dass ein Stück in meine Sammlung kommt, besteht darin, dass in dem Stück wenigstens 8 Takte im 5er stehen. Die meiste Musik liegt in Noten vor. Es scheint mir einfacher zu den Noten, als zu den Aufnahmen zu kommen. 
Beginnen wir mit der sogenannten "klassischen Musik". Das älteste Stück ist der zweite Satz aus Borodins dritter Symphonie aus dem späten 19. Jahrhundert. Er steht im 5/8 Takt. 
Es scheint typisch, dass osteuropäische Komponisten in der nationalromantischen Periode den 5er Takt in ihren Kompositionen verwendeten, da er in der dortigen Volksmusik zu finden ist. 
Der nächste ist auch von einem Russen, vielleicht das bekannteste der 5er Taktstücke. Es ist der zweite Satz von Tschaikowskis 6. Symphonie. Es ist eine Art Walzer. Jedoch nur jemand mit drei Beinen könnte ohne Probleme einen Walzer mit diesem Rhythmus tanzen: 
Er erregte große Aufmerksamkeit bei der Uraufführung. Ein Kritiker nannte ihn den "Teufelswalzer". 
Ein anderes der bekannteren Beispiele für 5er Takte stammt aus Bartós Mikrokosmos. Es ist die Nr. 150 im 6. Band, den 3. der "Tänze im bulgarischen Rhythmus". 
Zwei Sätze des Orchesterwerkes "The Planets" des englischen Komponisten Gustav Holst stehen im 5/4-Takt. Der erste Satz "Mars" hat diesen machtvollen Rhythmus. 

 

Der siebte Satz, "Neptun", steht im 5/4 Takt, das ist jedoch ziemlich schwierig zu entdecken ohne die Partitur vor sich zu haben.

Der Französische Komponist, Claude Bolinger, zählt zur "E-Musik", häufig findet man seine Platten jedoch unter Jazz. Persönlich denke ich, dass seine Musik weder nach E noch nach U gehört. Man könnte sie vielleicht zur "leichten Muse" zählen.

Jedenfalls hat er eine Suite für Flöte und Jazzpiano geschrieben, die eine "Javanaise" im 5/4 enthält, die mit großem Spaß zu spielen ist. Die Begleitung steht in diesem Rhythmus:

Boliger liebt offensichtlich 5er Takte. Von ihm stammt eine "Picnic Suite", die ein Stück für Gitarre und Flöte in einem langsamen 5/4 Takt enthält.

Moondog (Louis Harden) nennt sich ein ziemlich exzentrischer amerikanischer Komponist. In den Plattenläden ist seine Musik gewöhnlich in der sonderbaren Kategorie "Alternative Musik" eingeordnet. Moondog hat eine Vorliebe für ungewöhnliche Taktarten. Er hat zu viele Stücke im 5er Takt geschrieben, um sie hier alle zu erwähnen. Sein "Musical Theme" und viele seiner 26 "Rounds" und "Canons" stehen in der Taktart. Er benutzt sie auch im ersten Satz seiner Ballettmusik "The Witch of Endor", die er für Martha Graham schrieb. 

Einer der in England am meisten gefeierten Komponisten ist zur Zeit Michael Nyman. Ursprünglich hatte er eine Karriere als Musikwissenschaftler geplant, er wurde jedoch immer mehr zum vielbegehrten Theater- und Filmkomponisten. Seine "minimal music" ist eindeutig von historischer Musik inspiriert. (Nyman forschte unter anderem über die Aufführungspraxis der Musik des 17. Jahrhunderts.) Seine Musik klingt nach Barock, hat aber gleichzeitig den energischen Puls der Rockmusik. 

Obwohl die meiste seiner Musik in einem stetigen 4/4 abläuft, hat Nyman auch mit unterschiedlichen Taktarten experimentiert. In seinem zweiten Streichquartett gibt es ein 5er Takt-Stück im minimalistischen Stil.
Ein anderer englischer Komponist, Gordon Jacob, (1895-1984) hat eine Sonate für Altblockflöte und Klavier geschrieben. Der erste Satz steht im 5/4 Takt. 
Für Klavierspieler hier einige Stücke im 5er Takt: 
Paul Hindemith (1895-1963), Fuge Nr. 2 in "Ludus Tonalis" 
Erland von Koch, (*1910) "Rytmiska bagateller" für Klavier Nr. 3 und 6 
Robert Mucynski (* 1929), Fables, Nine Pieces for the Young 
Walter Piston (1894-1976) Passacaglia, 1943 
Albert Roussel (1869-1937), die letzten beiden Sätze seiner Sonatina, op 16, von 1912. 
Alexander Scriabin (1872- 1915), Prelude no 1 op 67 
Vesselin Stoyanov (1902-1969), Bulgarischer Bauerntanz 
Mikhail Yordansky, Toccatina aus "Zehn Kinderstücke" 
Es gibt einige Jazzstücke im 5er-Takt. Unglücklicherweise sind die meisten, wie Don Ellis' Big-Band Aufnahmen heute schwer zu bekommen. Die einzige Jazz-Aufnahme, mit ungewöhnlichen Taktarten, die heute leicht zu bekommen ist, ist Dave Brubecks "Time Out". Sie enthält das bekannte "Take five".

"Hambo in 5/4" heißt ein Chorstück des dänischen Jazzgeigers Svend Asmundssen. Man kann die Partitur bekommen. 
Auf der anderen Seite wurden die meisten 5er-Taktstücke aus meiner Sammlung in den 1970er Jahren aufgenommen. Das war die Zeit, in der viele Rock- und Jazzmusiker sich für Folkloremusik interessierten. Viele verschiedene Mischungen der Folklore mit anderen Stilen tauchten auf. Damit kam das Interesse an Taktarten auf, die in der Folklore benutzt wurden. Musiker waren damit beschäftigt, mit verschiedenen Taktarten und Rhythmen zu experimentieren. 
Ein Beispiel für ein Lied aus dieser Zeit ist "Everything's Alright" aus der Rock-Oper "Jesus Christ Superstar", ein anderes ist "Dance of the Little Fairies" mit John Williams Gruppe Sky. 
Die Melodie der TV-Serie "Mission Impossible" ist zur Zeit das bekannteste Stück im 5/4 Takt in Schweden. 
In den 1970ern benutzten viele Rockgruppen nicht nur die Rhythmen aus Osteuropa, einige begannen wirklich Balkanmusik zu spielen. Das bedeutete, dass einige Schallplatten aufgenommen wurden, die ein oder zwei Stücke im 5er Takt enthielten. Diese Art der Mischung von Folklore und Rock existiert noch, aber während der 80er Jahre verschwand die "Folk-Rock-Bewegung" durch das, was sich nun "Weltmusik" nennt. Es scheint, dass es nun nicht so viel Interesse an ungewöhnlichen Taktarten gibt wie vorher. 
Folklore ist die Gattung, bei der es am leichtesten war, Beispiele im 5er Takt zu finden. Asymmetrische Taktarten lassen sich oft in der Volksmusik Osteuropas und des Balkans finden. Einer der bekanntesten bulgarischen Tänze heißt Paiduska und hat diesen Rhythmus.

 

Nebenbei entdeckten und beschrieben bulgarische Musikwissenschaftler als erstes asymmetrische Taktarten. Daher werden sie manchmal auch bulgarische Rhythmen genannt. 

5er Takte sind ebenso bekannt in der rumänischen Volksmusik. In Ungarn und Nordost-Polen kann man nur gelegentlich 5er Takte finden. Das gleiche gilt für Griechenland, in dem sich einige 5er-Tänze finden, von denen der Tsakonikos der bekannteste ist. 

Lieder im 5er Takt scheinen in der Türkei sehr verbreitet zu sein. Wenigstens sind in dem Kinderliederbuch, das ich besitze, einige zu finden.

Es lässt sich jedoch auch Volksmusik im 5er Takt finden, die für Schweden viel näher liegt. Die Musik der Samen (der Lappen) ist bis heute noch recht unbekannt. Ein großer Teil der Juoigos-Gesänge der Samen stehen in zusammengesetzten Taktarten. Die meisten Juoigos enthalten kurze Melodiephrasen, die immerzu wiederholt werden. Gewöhnlich werden sie mit einer sanften, fast murmelnder Stimme gesungen. In der Regel werden die Texte auf sich wiederholende Silben improvisiert. Moderne skandinavische Komponisten verwenden manchmal Juoigos in ihren in ihren Kompositionen. Gunnar Hahn hat 5er-Takt-Juoigos in der ersten Hälfte seines Chorstückes "Rondo laponico" verwendet.

In Finnland kann man eine epische Melodieform finden, die Runenlieder, viele davon im 5/4 Takt. Die beliebteste ist das Kalewala-Lied "Marjatan poika" (Der Sohn der Jungfrau Maria). Hier ist eine andere reizvolle und typische Runenmelodie:

In Schweden stehen die meisten Volksmusikstücke im 3/4 Takt. Es gibt ein einziges schwedisches Volkslied im 5/4 Takt. Der Legende nach wurde es von fünf Schmieden geschrieben, die zusammen arbeiteten. Sie erfanden das Lied, damit es ihnen half, den richtigen Rhythmus zu finden, wenn sie sich beim Schlagen mit ihren Hämmern abwechselten. Das Lied heißt "En gång i min ungdom" (Einst in meiner Jugend). 

Neben den obigen Beispielen muß man auch die vielen Etüden im 5er-Takt erwähnen, die in der pädagogischen Literatur zu finden sind. Besonders Rhythmiklehrer lieben es, Musik im 5er Takt zu schreiben. Ich habe mich manchmal gefragt, warum Rhythmiklehrer sich so auf zusammengesetzte Taktarten konzentrieren. Warum verbringen wir so viel Zeit damit, eine so ungebräuchliche Taktart zu beherrschen?

Ich habe dafür nicht wirklich eine Antwort in der Rhythmikliteratur gefunden. Aber ich vermute, dass, wenn man lernt, einen gleichmäßigen Schlag durchzuhalten, selbst wenn die Schläge unterschiedliche Länge haben, wie in einem schnellen 5/8, oder wenn die Entfernung zwischen den betonten Schlägen variiert, wird man eine größere Sicherheit für den Schlag entwickeln. Dies hilft auch dabei, in gewöhnlichen Taktarten den Takt zu halten.

Wenn man ein passendes Stück im 5/4 Takt findet, warum schreibt man es nicht selbst? Es ist nicht schwierig im 5/4 Takt zu schreiben. Blues zum Beispiel klingt gewöhnlich gut im 5/4 Takt. Oder man nimmt einen Tanz im 3/4 Takt, wie Walzer, Polonaise oder Mazurka, und lässt jeden zweiten Takt einen Schlag weg. Dadurch bekommt man die Wirkung von fünf Schlägen eines Taktes. Wie man sehen kann, sind viele obige Beispielen Tänze.

Eine gute Übung für Schüler ist es, ein bekanntes Lied in einen 5er Takt umzuschreiben. 

Nun, jetzt habe ich meine Sammlung an 5er-Takten vorgestellt. Ich vermute, dass es noch einige andere Rhythmiklehrer gibt, die ebenso Stücke in ungewöhnlichen Taktarten sammeln. 

Wenn das der Fall ist, wäre es schön, wenn Sie an movimento schreiben könnten. Vielleicht möchte jemand darüber demnächst berichten? 

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Karin Jehrlander studierte an der "Kungliga Musikhögskolan" in Stockholm Rhythmik (Diplom 1989), außerdem Musikwissenschaft und Psychologie an der Universität Uppsala. Heute lebt sie in Huddinge, 20 Kilometer südlich von Stockholm. Dort unterrichtet sie mit einer ganzen Stelle an der Musikschule. Sie arbeitet ehrenamtlich im Vorstand des Schwedischen Rhythmikverbandes (Svenska Rytmiklärarförbundet Dalcroze, SRD)